Deutschland, wir müssen reden!

Rassismus ist ein Thema, das uns alle etwas angeht. Wie? Ein alter Hut? Leider nein. Alleine im Jahr 2016 stieg die Anzahl rechter Gewalttaten um 44 Prozent. Mittlerweile sind es 1.485 Fälle. Vor allem Flüchtlingsunterkünfte sind vermehrt im Visier solcher Angriffe. Haben wir nichts aus der Geschichte gelernt? Was bedeutet Rassismus eigentlich? Und was ist denn überhaupt „wirklich deutsch“?

Diese Gedanken hat sich auch der Journalismus-Jahrgang 2015 der DEKRA Hochschule für Medien in Berlin in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene Museum Dresden gemacht. Das Abschlussprojekt der Journalist*innen besteht aus einer Live-Sendung am 21.12.2017 in Dresden direkt aus dem Hygienemuseum und steht unter dem Titel „Deutschland, wir müssen reden“. Nun könnt ihr euch natürlich vorstellen, dass für uns eine Live-Sendung nicht genug ist.

Zwei Interviewfilme zu den Themen „Rasse/Rassismus, Volk und Heimat“ sowie „Vielfalt/Identität/Wie wollen wir leben?“ werden produziert und Teil der Sonderausstellung, welche ab Mai 2018 im Deutschen Hygiene Museum zu sehen sein wird.  Gespannt? Wir auch, denn in den kommenden Wochen besuchen uns zahlreiche Persönlichkeiten und werden vor der Kamera über dieses wichtige Thema sprechen. Mo Asumang und Tyron Ricketts durften wir schon als unsere Gäste begrüßen.

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Melanie

Ein wenig deutsche Geschichte

Der zweite Weltkrieg endete vor mehr als 70 Jahren – logisch, das lernt man  schließlich in der Schule. Was aber danach passierte, wird jedenfalls in Österreich wenig bis gar nicht behandelt. Von der Trennung West- und Ostdeutschlands sollte man aber doch schon mindestens einmal gehört haben. Was in dieser Zeit vor allem in Berlin alltäglich war, wird in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen deutlich.

Die alte Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR (kurz: Stasi-Gefängnis) wurde von 1951 bis 1989 betrieben. Richtig, die Mauer fiel am 9. November 1989, also ist diese Jahreszahl nicht weit hergeholt. In dieser Haftanstalt wurden politische Gefangene inhaftiert und zuerst physisch, später psychisch, gefoltert. Der Gebäudekomplex selbst war in dieser Zeit auch in keinem Stadtplan eingezeichnet.

Heute bieten einige der damaligen Häftlinge Führungen an. Einer davon ist Gilbert Furian. Er wurde 1985 wegen „Anfertigens von Aufzeichnungen, die geeignet sind, den Interessen der DDR zu schaden“ zu zwei Jahren und zwei Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Seine „gefährlichen Aufzeichnungen“ waren schlichtweg Interviews mit Ost-Berliner Punks, die er vervielfältigt und versuchte, über seine Mutter in den Westen Berlins zu schmuggeln. Die Zollbeamten an der Grenze waren aber doch gründlicher als gedacht, und die Interviews wurden von der Staatssicherheit beschlagnahmt. Furians Mutter wurde für diese „Tat“ nie verurteilt, für ihn selbst begann aber eine durchaus schwierige Zeit.

Die Führung begann mit einem kurzen Film, der die damaligen Gegebenheiten darstellte. Unfassbar, dass das alles noch keine 30 Jahre vergangen ist! Im alten Trakt des Gefängnisses begann Furian zu erzählen: “ Das „U-Boot“ ist der älteste Trakt. U-Boot deshalb, da es weder Fenster noch irgendeine Form des Tageslichtes gab. Dass die Suizidversuch-Rate hoch war, können Sie sich bestimmt vorstellen.“ Von einer Blutvergiftung durch das Aufkratzen der Pulsadern mit den eigenen Nägeln bis hin zum Erhängen mit den Kleidern, die man am Leib trug, war die Auswahl an Selbstmord-Strategien nicht groß. Außer den eigenen Kleider, die man zum Zeitpunkt der Verhaftung trug, einem Bettgestell aus reinem Holz, einem Topf für die Notdurft und eventuell anderen Insassen gab es nichts in der Zelle. Durch die ständige Überwachung und die physische Folter, wie das Bestrafen mit Schlägen oder überschütten der Häftlinge mit eiskaltem Wasser, blieb auch keine „Tat“ in dieser Zelle unbeachtet. So wurde eine Frau durch Matratzenentzug bestraft, da sie sich einen Waschlappen aus ihren eigenen Kleidern gebastelt hatte.

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Gefängistrakt

„Die hygienischen Bedinungen und die Lebensumstände für Häftlinge wurde in der Zeit meiner Inhaftierung grundlegend verbessert. Man setzte nun auf psychische Folter, weniger auf körperliche Gewalt“, so Furian. Dazu gab es eine spezielle Ausbildung in Potsdam, die die Vernehmer der Häftlinge auf bestimmte psychologische Maßnahmen trainierte. Gilbert Furian selbst wurde in einer Zwei-Mann-Zelle untergebracht. Ein blauer Trainingsanzug war die offizielle Kleidung der Häftlinge. Lautes Reden, singen, pfeifen und ähnliches waren strengstens untersagt. Die Insassen selbst wurden regelmäßig zu Verhören einberufen, und wurden dort psychisch unter Druck gesetzt. Pro Woche war eine halbe Stunde „frische Luft“ in einer Außenzelle angesetzt. Körperliche Betätigung oder sogar Gymnastik war strengstens untersagt – ein gesunder Körper bedeutet nämlich meist auch einen gesunden Geist. Innerhalb des Gebäudes herrschte eine Totenstille, die maximal durch Geschrei der Wärter unterbrochen wurde.

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Bekleidung der Häftlinge in „moderner“ Zelle

„Mein Mithäftling hat sich alles sehr zu Herzen genommen, was zu ihm gesagt wurde. Meine Strategie beruhte auf einen emotionalen Komazustand. Ich glaube, nur so kam man ohne größeren, psychischen Schaden aus dieser Sache heraus“, betonte Furian. Zwei „Überbleibsel“ seiner Gefangenschaft hatte er aber dann doch noch mitgenommen: Keine Tür in seiner Wohnung darf ganz geschlossen sein, und Filme mit Gefängnissen und Häftlingen meidet er komplett. „Ich glaube, damit bin ich noch ganz gut hinweggekommen“, meint Furian. “ Der Gedanke an meine Frau, eine damalige Theologie-Studentin, hat mir in der Zeit im Gefängnis geholfen. Wir sind übrigens noch immer verheiratet, obwohl ich keine geschlossenen Türen in der Wohnung mag! (lacht)“

Nach einem Jahr Haft wurde Gilbert Furian von der Bundesrepublik (Westen) freigekauft. Er selbst blieb aber in der damaligen DDR und wurde einer Arbeit unter Bewährung zugeteilt. 2008 brachte Gilbert Furian auch das Buch „Mehl aus Mielkes Mühlen“ heraus, welches ich nur sehr empfehlen kann. Ein Besuch in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ist ebenfalls ein Muss für jeden Berlinbesuch, auch wenn man nicht an deutscher Geschichte interessiert ist.

Bis bald,

Melanie

 

Ehe für alle

Am 17. Mai 1990 traf die WHO (Weltgesundheitsorganisation) die Entscheidung, Homosexualität nicht mehr als psychische Krankheit anzusehen. Heute, rund 27 Jahre später, wurde im deutschen Bundestag beschlossen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen. Bei 623 abgegebenen Stimmen sprachen sich 393 Abgeordnete für die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare aus.

Das Thema dieser Abstimmung steht nicht erst seit kurzem zur Debatte und hat im Vorfeld schon ziemlich viele, „schlagfertige“ Gegenargumente hervorgezaubert. Von „Mimimimi, das ist doch gegen die Natur, mimimi“ bis zum Familienvorschlag der AfD trieben es die Politiker*innen bunter als auf der Regenbogenfahne. Aus diesem Anlass hier:

Die zehn „schönsten“ Argumente gegen die Ehe für alle

1. „Die Ehe ist ein Bündnis zwischen Mann und Frau! Das war schon immer so.“

Die Erde ist eine Scheibe! Das war schon immer so. Folter ist eine super Methode um Informationen zu kriegen! Das war schon immer so. Frauen dürfen nicht wählen! Das war schon immer so. Alles ganz logisch, oder?

2. „Die Ehe dient der Fortpflanzung.“

Okay, wenn das so ist, dann müssten  alle Paare, die heiraten wollen, ihre Fruchtbarkeit medizinisch belegen lassen. Außerdem müsste dann ein Gesetz entworfen werden, welches bestimmt, in welchem Zeitraum nach der Eheschließung das erste Kind geboren werden muss. Sonst macht das alles keinen Sinn!

3. „Das Kindeswohl muss geschützt werden.“

Bei solchen Argumenten denkt man doch gerne an „Teenie-Mütter“ oder „Teenager werden Mütter“ und fragt sich, wo die ganzen Moralapostel in diesem Fall bleiben. Außerdem gibt es viele Kinder und Jugendliche, die sich eine Familie wünschen und diese erst durch Adoption bekommen können. Da es in der gleichgeschlechtlichen Ehe theoretische zu keiner Fortpflanzung kommen kann, haben so viele Kinder eine Chance auf eine Familie. Übrigens beweisen Studien, dass es Regenbogenkindern nicht schlechter geht als Kindern in einer „heterosexuellen Familie“.

4. „Dann könnte man auch Vielehen erlauben.“

Wo auch immer dieses Argument herkommt: Mit einem Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe, wo es wie bei der heterosexuellen Ehe um ZWEI Menschen geht, die sich lieben, diskriminiert man auch die sexuelle Orientierung der einzelnen Person. Somit lässt sich eine homosexuelle Ehe gar nicht gleichschließen mit einer Vielehe. Denn hier können die Personen (zumindest einmal) verheiratet sein.

5. „Es gibt doch die eingetragene Lebenspartnerschaft.“

Ja, aber in dieser sind die Rechte der beiden Partner*innen wiederum  anders als in der Ehe. Und warum sollte man jemanden Rechte wegnehmen, nur weil sie/er sich in eine/n Frau/Mann verliebt hat?

6.“Aber in der Bibel steht, das…“

Das Eva aus der Rippe Adams gezeugt wurde? Sind die beiden dann nicht verwandt? Wie auch immer,  ich bezweifle stark, dass Gott Waffen, Kriege und ähnliches gut heißt, und sich gegen Liebe aussprechen würde.

7.“Die Ehe steht im Grundgesetz. Eine Änderung wäre verfassungswidrig.“

Well played, immer schön auf das Grundgesetz zurückgreifen, da kann man nichts falsch machen. Blöd nur, wenn das einzig und allein „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ steht. Wer nun wen heiraten darf, ist darin aber nicht festgelegt und eine Änderung somit unnötig.

8. „Das spricht gegen die deutsche Leitkultur.“

Döner essen, Mode aus Italien tragen und sich nicht in einer Schlange anzustellen dann auch.

9. „Das ist gegen die Natur.“

Liebe ist eine (komplizierte) biochemische Reaktion im Körper eines Menschen ausgelöst durch Hormone. Also sehr natürlich. Was allerdings gegen die Natur sprich sind Autos, Plastik und Herzschrittmacher. Noch Fragen?

10. „Das kann man nicht machen.“ – Hedwig von Beverfoerde

Naja, liebe Frau von Beverfoerde, irgendwie schon, wie sie vermutlich mitbekommen haben!

Traurig eigentlich, dass im Jahre 2017 Diskriminierung und Benachteiligung noch immer mit solchen Argumenten verteidigt werden. Man muss selbst nicht homosexuell sein, um die Rechte anderer einzufordern. Denn schlussendlich geht es um Liebe und nichts anderes. Vielleicht versteht das auch Österreich irgendwann.

Bis bald,

Melanie

 

Menschen Museum Berlin

Alle Präparate dieser Ausstellung sind echt. Sie stammen von Menschen, die zu Lebzeiten darüber verfügt haben, dass ihr Körper nach dem Ableben dauerhaft konserviert und in dieser Ausstellung für die Ausbildung zukünftiger Generationen verwendet werden darf. […] Dafür sind wir Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet.“

Dankbarkeit. Etwas, das in unserer modernen Welt schon lange zu kurz kommt. Wir leben zu schnell, essen zu viel und schlafen zu wenig. Das wir aber eigentlich aus „Zufall“ hier sind, und uns nur ein Körper für dieses Leben gegeben wurde, vergessen wir viel zu oft. Auch wenn unsere Knochen stärker als Stahl sind, wir machen uns selbst kaputt mit schlechter Ernährung oder durch gebrochene Herzen.

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©elitale

Die Ausstellung „Körperwelten“ von Dr. Gunter von Hagens im Berliner Menschen Museum am Alexanderplatz fasziniert nicht nur Mediziner*innen, sondern ist für Jung und Alt gedacht. Das Werk des deutschen Arztes soll zur Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen, ohne das die Identität der Spender*innen Preis gegeben wird.

Natürlich kann man darüber diskutieren, ob es verwerflich ist, tote Körper und vor allem Babys auszustellen. Doch um etwas wirklich verstehen zu können, muss man es gesehen haben.

Bis bald,

Melanie

Wenn der Albtraum einen Namen hat

Vor seinem Gesicht hält er schützend eine verspiegelte Mappe. Kurzes Blitzlichtgewitter – die Journalist*innen ziehen sich langsam zurück und die Verhandlung im Amtsgericht Tiergarten kann beginnen. Es ist der erste Gerichtstermin im Fall Rene B. Kaum vorstellbar, dass der Mann im roten „Coca-Cola“-Pullover ein Verbrecher ist. Rene B., der Vater zweier Kinder, die in Pflegefamilien aufwachsen, arbeitslos und obdachlos: Und nun auch bald hinter Gittern?

Wir schreiben den 23. April 2016: Laut Anklage ist der Verdächtige Rene B. im Berliner Wedding unterwegs, bis er an der Wohnungstür einer flüchtigen Bekannten klingelte. Mit dem Vorwand, seinen eigenen Schlüssel vergessen zu haben und dringend auf die Toilette zu müssen, lässt sich die Frau auf die Bitten des Täters ein. In der Wohnung ändert sich dann schlagartig der Ton von Rene B.: „Blas mir einen oder sonst stirbst du!“ Eine Drohung, die er mit körperlicher Gewalt in Form von Schlägen mit der Faust und der flachen Hand ins Gesicht und dem Nacken des Opfers unterstreicht. Der Vorwand, ein Kondom holen zu müssen, erbringt nicht die erhoffte Freiheit. Denn währenddessen versucht er, ihr Gesicht in seinen entblößten Schritt zu drücken. Der Lärm weckt den Sohn des Opfers und dieser schreitet bewaffnet mit einem Küchenmesser dazwischen, und rettet somit seine Mutter.

Während die Anklage verlesen wird, vergräbt Rene B. sein Gesicht in seinen Händen. Er will mit niemanden Blickkontakt aufnehmen, schämt sich anscheinend für seine Taten. Im Verhandlungssaal äußert der mutmaßliche Täter sich nicht zu dem Vorfall. Seine Verteidigerin vertröstet die Anwesenden auf eine Aussage zu einem späteren Handlungstermin. Einer von womöglich vielen.

Laut der Süddeutschen Zeitung ist dieser Fall keine Seltenheit. Jede dritte Frau in Europa hat als Erwachsene körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Das ist das Ergebnis einer EU-Studie aus dem Jahr 2014, bei der 42 000 Frauen befragt wurden. Nur rund 16 Prozent davon bringen diese Delikte auch zur Anzeige. Denn wenn der Albtraum in Person vor einem steht, ist für viele Frauen Verdrängung die beste Lösung. Scham und Angst sind die häufigsten Gründe für diese Entscheidung. Doch warum scheint es für uns Bürger*innen so, dass diese angezeigten Verbrechen entweder gar nicht oder zu Milde bestraft werden? „Die Nachweisbarkeit einer Vergewaltigung oder eines sexuellen Missbrauches ist komplizierter als bei Eigentumsdelikten“, sagt Lisa Jani, Richterin und Pressesprecherin des Amtsgerichts Tiergarten. „Im Zweifelsfall ist es immer besser, einen Schuldigen laufen zu lassen, als einen Unschuldigen für viele Jahre ins  Gefängnis zu bringen.“

von Melanie Köppel

Die Woche der Umwelt 2016

Am 7. und 8. Juni fand die diesjährige Woche der Umwelt statt. Im Garten des Schloss Bellevue, dem Sitz des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gaucks, präsentierten knapp 200 Aussteller*innen ihre Ideen und Innovationen zu den Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Für mich war es  natürlich eine große Ehre, hier dabei zu sein. Aber seht am besten selbst:

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Hier geht’s zum Video: Woche der Umwelt

 

 

Bis bald,

Melanie

Billigmöbel zu jedem Preis

Ein riesiger Metallkasten ziert die Landschaft, umringt vom Grau der Parkplätze. Ein blaues Gebäude mit gelbem Logo steht mitten im Nichts. Familie Struck schiebt ihren vollen Einkaufswagen durch die labyrinthischen Gänge und begutachtet Möbel, die in das neue Heim einziehen sollen. Ein ganz übliches Szenario einer Berliner Familie, jedoch mit bitterem Nachgeschmack.

Gleiche Uhrzeit, rund 3000 Kilometer entfernt schlagen einem Forstarbeiter die russische Kälte und der Duft des matschigen Bodens ins Gesicht. Dienstbeginn. Übrigens der zehnte in Folge. Keine Wochenenden, keine Pausen. Der Chef will bessere und schnellere Arbeit. Er fokussiert sein nächstes Ziel: Eine 800 Jahre alte Linde.

Die beiden Welten sind verbundener als sie scheinen. Der große, gemeinsame Nenner ist Ikea. Der Riesenkonzern, dessen Filialen Familien-Wahlfahrtstätten gleichen, verkauft massenhaft Möbel zu spottbilligen Preisen. Die Zahl der Kunden steigt stetig – aber auch die der kleineren und größeren Eklats.

Die Skandalchronik des Konzerns geht bis in das letzte Jahrhundert zurück. In den Jahren 1960 bis 1980 sollen politische Gefangene der DDR zur Zwangsarbeit für den Konzern genötigt worden sein. Ikea hat das inzwischen eingeräumt und der Vorfall schien beinahe vergessen. 2005 wurden bei Kontrollen, die der Konzern selbst in Auftrag gegeben hat, zwölf Fälle von Kinderarbeit in Indien, China und Pakistan bekannt. Ein Schock für die Konsumenten. Ikea beendete die Geschäftsbeziehungen zu den Lieferanten. Die mussten sich zudem verpflichten, betroffene Kinder wieder in die Schule zu schicken. Damit will Ikea die Kinderarbeit stoppen. Doch trotz angeblich verschärfter Kontrollen und Nachhaltigkeitskonzepte bleibt der Möbelgigant in den Schlagzeilen.

2009 musste sich Ikea den Vorwurf gefallen lassen, Produkte mit Daunen von lebend gerupften Gänsen und auch das Fleisch der Tiere verkauft zu haben. Laut EU-Gesetz ist es verboten, Tiere lebend zu rupfen. Erst eine gemeinsame Rechercheaktion des Vereins „Vier Pfoten“ und des ARD-Magazins „Fakt“ deckte die Missstände auf. Ikea entschuldigte sich  und brach die Geschäftsverbindung zum Lieferanten ab.

Weiter ging es im Februar 2014! Da verlor die Ikea-Tochter „Sweedwood“ das FSC-Siegel. Das „Forest Steawardship Council“- Siegel soll garantieren, dass das Holz der Möbel nicht aus schützenswerten Gebieten stammt und keine Urwaldbäume abgeholzt wurden. Laut FSC müssen die verarbeiteten Materialien von der Abholzung bis zum Verkauf identifizierbar sein. „Sweedwood“ aber verstieß  gegen unzählige Nachhaltigkeitskonzepte.  „ Es wurden nicht nur geschützte Wälder abgeholzt, sondern „Sweedwood“ verstieß auch gegen sämtliche Kriterien des Arbeitnehmerschutzes“, erklärt Lars Hofmann, Pressesprecher des FSC. Der Council hat festgestellt, dass viele  Mitarbeiter von „Sweedwood“ keine ausgebildeten Fachkräfte waren und  weder Arbeitsschutzkleidung, noch das nötige Forstwissen hatten. Ikea dementierte die Vorwürfe heftig und sah den Verlust des Gütesiegels als „vorübergehend“ an. Der Konzern stellte die Missstände ab, im März 2014 bekam „Sweedwood“ das Siegel wieder zurück.  Dennoch verkaufte Ikea die Firma Sweedwood im Jahr 2014. Grund dafür war die ständige Kritik und das schlechte Licht, welches das Unternehmen auf Ikea warf.

 Ikea-Deutschland-Pressesprecher Kai Hartmann, weist alle Vorwürfe zurück, in welchen dem Konzern umweltschädliche Praktiken unterstellt werden. Ikea lege sehr wohl Wert auf eine gute Nachhaltigkeitspolitik. Alle Filialen arbeiten mit möglichst umweltschonenden Ressourcen, wie Öko-Strom, LED-Lampen und  Nutzung von Thermosolaranlagen. Zudem leistet das Einrichtungshaus einen Beitrag zum Energiesparen in privaten Haushalten.  Wasser- und warmwassersparende Armaturen, sowie  Induktionskochfelder, die Verwendung von A++ – Elektrogeräten oder auch die Trennung und mögliche Wiederverwendung von Abfall sind haushaltsnahe Maßnahmen, die in das Ikea Nachhaltigkeitskonzept gehören. Nach Ansicht des Konzerns  hätte Nachhaltigkeit nicht nur mit der Umwelt, sondern auch mit der Nächstenliebe zu tun. Daher engagierte sich Ikea auch für die Flüchtlingshilfe, zudem würden unzählige Kinderprojekte gefördert werden.

Aber wie reagieren nun tatsächlich Ikea-Mitarbeiter, wenn man sich als „unwissender“ Kunde  über die Nachhaltigkeit der Produkte informieren will?

„Auf unserer Ikea-Homepage können Sie sich den Nachhaltigkeitsbericht 2014 durchlesen. Haben Sie übrigens gewusst, dass Ikea ein sehr gönnerhafter Sponsor von UNICEF-Projekten ist?“ So oder in ähnlicher Form wird man als ökologisch denkender Kunde gerne auf den Nachhaltigkeitsbericht 2014 von Ikea verwiesen. Danach bekommt man eine Führung durch sämtliche Etagen zwischen LED-Lampen und Öko-Baumwolle, um auf keinen Fall die besten und natürlich „ökologischsten“ Angebote zu verpassen. Doch wie Thomas Bergmark, Ikeas Umwelt- und Sozialmanager, schon 2011 in einem Interview des Magazins „enorm“ zitiert wurde: „Man kann nie garantieren, dass jeder Baum aus einer legalen Quelle stammt.“

Was bedeutet es jedoch wirklich für die Menschheit, wenn ein so riesiger Möbelkonzern wie Ikea, der jährlich weltweit bis zu 690 Millionen Kunden hat, Holz aus geschützten Wäldern für seine Produkte verwendet?

„Die weitere Abholzung der geschützten Wälder kann zu einer riesigen ökologischen Katastrophe führen“, weiß Prof. Dr. Judith Korb, Ökologieprofessorin der Universität Freiburg. Vor allem die Abholzung von alten und mächtigen Bäumen kann riskante Folgen mit sich bringen. Die Bäume speichern eine große Menge an Kohlendioxid  in ihren Stämmen. Bei der Abholzung geht ein wichtiger Träger des Ökosystems verloren,  ein  CO2-Speicher wird eliminiert. Das CO2 bleibt  zunächst in den Möbeln gespeichert. Wird das Holz verbrannt, wird es aber wieder freigesetzt. Da Kohlendioxid ein großer Faktor für die Klimaerwärmung ist, könnten die Temperaturen in den nächsten Jahren rasant in die Höhe steigen.

Dies kann man sich am Beispiel einer Kerze veranschaulichen: Lässt man die Kerze unter einem Glas stehen, so erlischt die Flamme. Sobald man das Glas aber entfernt, entflammt sie wieder und Wärme entsteht. Die Bäume der Wälder sind in diesem Fall das schützende „Glas“ der Erde. Wenn dieser Schutz verschwindet, könnte dasselbe Prinzip auch in unserer Atmosphäre passieren und es wird zu viel Wärme frei. Die Gletscher schwinden, Tier- und Pflanzenarten sterben aus.

Trotz aller Skandale: Bei Ikea bleibt vorerst alles beim Alten. Jedenfalls in der russischen „Holzdependance“. Die alte Linde fällt. Ihr Holz wird man billig kaufen können. In einer Ikea-Filiale in Berlin-Lichtenberg.

Kommt Zeit, kommt Brot!

Die DefinitIon von gutem Essen hat ungefähr so viele Facetten wie es Menschen auf der Erde gibt. Vor allem in den reichen Industrieländern sind die Nahrungsmittel die uns schmecken, nicht unbedingt die, die unserem Körper gut tun. Ob es nun an den hohen Zuckergehalt liegt, an der (noch) eher unerforschten Auswirkung gentechnisch veränderter Lebensmittel oder an den unzähligen Konservierungsstoffen: Die falsche Nahrung kann uns schwer krank machen! Aber woher soll man nun wissen, was ein gesundes Lebensmittel ausmacht, wenn man nie Bezug zur Gewinnung unserer Urprodukte hatte?

Die Internationale Grüne Woche (IGW) findet im Januar 2016 schon zum 81. Mal statt. Neben einer großen Anzahl von Ausstellerinnen und Aussteller im Bereich Ernährungs- und Landwirtschaft werden auch die kommenden und bleibenden Konsumtrends vorgestellt. So haben die Themen „Bio“, „Regional“ und „nachwachsende Rohstoffe“ eine immer höhere Bedeutung in der Branche. Doch nicht nur die rund 1.700 Austeller kommen hier auf ihre Kosten, sondern auch die prognostizierten 415.000 Besucherinnen und Besucher können so einiges an Wissen mitnehmen.

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Abbildung 1: Verschiedenste Getreidesorten Foto:©Melanie Köppel

Im Rahmen dieser Internationalen Grünen Woche hat auch die „Markthalle Neun“ im Berliner Kreuzberg es sich zur Aufgabe gemacht, den Besucherinnen und Besuchern eine kleine Wissensreise zu bieten. „BrotZeit“ ist das Motto des heutigen Sonntags und steht ganz im Rahmen des alten, traditionellen Nahrungsmittel. Von der Saatgutgewinnung bis zum fertig gebackenen Brot  wird den Interessierten das handwerkliche Verfahren näher gebracht. Auch die Auswahl der Zutaten, die verschiedenen Getreidesorten und die Herstellung in den eigenen vier Wänden wird an unterschiedlichen Austellungsständen vermittelt. Ebenso werden in hitzigen Debatten auch die Themen Demeter, Gentechnick und Nachhaltigkeit erklärt und diskutiert.

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Abbildung 2: Zubereitung libanesischer Gerichte Foto: ©Melanie Köppel

Doch nicht nur die nationale Küche ist in der Markthalle Neun vertreten, sondern auch Back- und Kochkünste aus den verschiedensten Ländern, wie Japan oder den Libanon. Durch den großen und vielfältigen Markt und die verschiedensten Werkstätten erhält man einen guten Einblick zum Thema Qualität unserer Lebensmittel.

Diese, und noch viele weitere Veranstaltungen, sind ein heißer Tipp für das interessierte Publikum der diesjährigen Internationalen Grünen Woche, die noch bis zum 24. Januar ihre Pforten in ganz Berlin geöffnet hat!

von Melanie Köppel aus Berlin, am 17.01.2016

Die Hinterlassenschaft der Sternenkinder

Bunte Murmeln, jede Menge Teddybären und flatternde Windräder sind am Boden verteilt. Trotz der eisigen Kälte versammeln sich täglich viele Eltern auf dem Alten St.- Matthäus- Kirchhof in Berlin- Schöneberg, um ihre Babys zu besuchen. Alle verweilen ein paar Minuten und genießen die vertraute Verbundenheit. Viele haben Geschenke oder Fotos dabei, andere zünden eine Kerze an, im Gedenken an ihre Sternenkinder.

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Abbildung 1: Friedhof der Sternenkinder Foto: ©Melanie Köppel

Der „Garten der Sternenkinder“ wird von einem riesigen Schiff aus Holz geziert. Rund 400 Gräber befinden sich bis jetzt hier verteilt und es werden jährlich mehr. Die Definition Sternenkind besitzt eine große Spannweite, jedoch kann man grundsätzlich sagen, dass es sich um ein tot- oder stillgeborenes Kind handelt. Für die Eltern im ersten Moment ein Riesenschock, denn das Baby, auf dass man sich so sehr gefreut und worauf man so lange gewartet hat, kann man nie richtig kennenlernen. „Kein Kind sollte vor seinem Vater sterben!“ sagte Anthony Hopkins im Film „Die Vorsehung“. Den Eltern von Sternenkindern spricht dieses Zitat aus der Seele.

Aber wie geht man nun mit dem traurigen Verlust um? Kann das Leben danach überhaupt weitergehen? Bernd Boßmann, Schauspieler und der Besitzer des ersten Friedhofscafés Deutschlands im St.-Matthäus- Kirchhof, setzt sich für die Eltern der Sternenkinder ein und versucht zu helfen, wo es nur geht. Die Idee zum „Garten der Sternenkinder“ entstand am Anfang des Jahres 2007, als ihn eine Mutter in seinem Café besuchte und vom Verlust ihres Sohnes erzählte. Sofort waren viele Sponsoren gefunden und im April 2007 fand die erste Bestattung statt.

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Abbildung 2: Bernd Boßmann beim Interview Foto: ©Delia Roscher

„Die Auflagen sind in Deutschland sehr streng. Erst ein Kind über 1000 Gramm ist offiziell Bestattungspflichtig und bekommt auch eine Urkunde.“, so Boßmann, “ Ich finde diese Definition sehr traurig, denn für die Eltern ist das verlorene Kind trotzdem ein fester Bestandteil der Familie!“ Das Verständnis und die Hilfe von Bernd Boßmann lockt daher auch viele Vereine für Eltern von Sternenkindern in das Friedhofscafé „Café finovo“. Die Vereine „Erste Hilfe Köfferchen Berlin“ oder die „Verwaisten Eltern“ treffen sich dort gerne, um sich auszutauschen.

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Abbildung 3: Schatullenbeispiele und Grabfiguren Foto:© Delia Roscher

„Im Umgang mit den Eltern muss man besonders vorsichtig sein!“, meint Bernd Boßmann. Wörter wie „Sarg“, „verrottbar“ oder „Tod“ werden ganz aus dem Wortschatz gestrichen. Stattdessen wird aus dem Sarg eine Schatulle, diese auch selbst von den Familien der Kinder gestaltet werden können. Das gibt den Hinterbliebenen oft ein besseres Gefühl und lässt die Tragödie leichter verkraften, soweit das möglich ist. Bernd Boßmann versucht, die Eltern an Psychologen weiterzuleiten und kümmert sich hauptsächlich auch um die rechtlichen Verpflichtungen. Der ehemalige Schauspieler erzählt:“Ich wollte immer selbst Kinder, habe aber leider nie welche bekommen. Diese Arbeit mit den Eltern ist so etwas wie eine Erfüllung für mich. Daraus Profit zu schlagen wäre unmoralisch! Ich bin froh, dass ich helfen kann.“

von Melanie Köppel aus Berlin, am 07.01.2016