Ein Besuch bei Bernd Boßmann

Könnt ihr euch noch an den Beitrag erinnern, den ich im Januar 2016 gepostet habe, in dem es um das Thema „Sternenkinder“ ging? Nein? Dann könnt ihr hier den Text nachlesen.

Mein Artikel damals handelte vom „Garten der Sternenkinder“ und Bernd Boßmann, der das Projekt ins Leben gerufen hatte. Es war eines meiner ersten Interviews und ich war natürlich aufgeregt und top vorbereitet. Letzteres hat mich gelehrt, das eine gute Vorbereitung nicht immer von Vorteil ist, denn von meinen Fragen, die ich aufgeschrieben hatte, habe ich genau eine gestellt. Der Rest war spontan und aus dem Kontext heraus. Alles kann man eben nicht recherchieren!

Vor ein paar Tagen, also eineinhalb Jahre später, war ich mit einer Freundin wieder auf dem alten St.-Matthäus-Kirchhof, um Bernd zu treffen. Eigentlich war unser Gespräch für eine Uni-Prüfung bestimmt, da sich aber die Aufgabe geändert hatte, lag  das dann natürlich nicht mehr im Fokus unseres Treffens. Trotzdem habe ich mich sehr gefreut, ihn wiederzusehen.

Unseren Besuch habe ich vorher telefonisch angekündigt, viel zu groß ist die Gefahr, dass Bernd nicht anzutreffen ist. Bestatter, Theater-Chef, Gründer eines Friedhofcafés: Logisch, dass man da viel um die Ohren hat. „Du musst schon ein bisschen Zeit mitbringen, du weißt doch, wenn ich einmal quatsche, dann lange“, meinte er also schon im Voraus. Diesmal habe ich mich dann auch einfach nicht darauf vorbereitet. Zuhören und nachdenken war die Devise.

„Ihr Journalisten habt das noch immer mit dem Siezen, oder? Also ich sieze eigentlich nur Leute die ich nicht mag. Bankberater zum Beispiel“, waren Bernds erste Worte an mich.  Das versteckte Angebot um uns zu Duzen, fühlte sich irgendwie an als hätte ich einen Freund wiedergetroffen, den ich jahrelang nicht gesehen habe. Und Freunde, die man jahrelang nicht gesehen hat, haben natürlich auch immer viel erlebt in der Zwischenzeit. Auf die Frage, wie sich das Projekt mit den Friedhof für Sternenkinder entwickelt hat, seufzte Bernd nur: „Leider sind sehr viele Eltern von solchen Schicksalen betroffen. Aber natürlich, der Garten der Sternenkinder wird nach wie vor in Anspruch genommen und wir erweitern ihn regelmäßig.“

Während unserem Gespräch haben wir uns auch mitten im „Garten der Sternenkinder“ gesetzt. Für mich eine eher komische Situation, aber Bernd erzählte mir, dass auf diesem Friedhof sogar Feste gefeiert werden, also zwischen den Gräbern. „Der Tod trifft uns früher oder später alle, und jeder geht anders damit um. Aber deshalb soll er auf keinen Fall ein Tabu werden oder etwas, wovor man Abstand halten muss!“, meinte er als er meinen etwas kritischen Blick sah. „Am schlimmsten ist es immer, wenn Kinder zurechtgewiesen werden, die etwas lauter sind oder am Friedhof spielen möchten“, so Bernd. Denn Kinder haben ihren eigenen Trauerprozess und können in solchen Momenten gar nicht begreifen, warum sie jetzt zurechtgewiesen werden.

„Eine Geschichte hat mich besonders berührt: Eine Mutter kam einmal zu mir, die gerade ihr zweites Kind verloren hatte. Ihr kleiner Sohn, der sie begleitete, spürte natürlich von Anfang an, dass da etwas nicht stimmt. Als die Mutter dann vor lauter Trauer tränenüberströmt am Boden kauerte, hat sie der Kleine rührend getröstet und für mich wie ein Erwachsener gewirkt. Es war herzzerreißend“, schilderte Bernd.

Da saßen wir also, mitten auf dem Friedhof und während Bernd mir Geschichten erzählte, wir über Kindererziehung diskutierten und dann im Endeffekt doch über Gott und die Welt sprachen , wurde die Situation für mich immer surrealer. Was habe ich früher gelernt? Auf dem Friedhof muss man leise sein. Ein düsterer und trauriger Ort, der nicht dazu einlädt, länger zu bleiben als man eigentlich muss.

Bernd hingegen hat mir ein bisschen die Augen geöffnet. Nicht alles, was man in jungen Jahren gelernt hat, stellt sich als richtig heraus. Also gibt es hoffentlich irgendwann ein nächstes Treffen mit Bernd. Wieder mitten auf dem Friedhof!

Bis bald,

Melanie

Die Hinterlassenschaft der Sternenkinder

Bunte Murmeln, jede Menge Teddybären und flatternde Windräder sind am Boden verteilt. Trotz der eisigen Kälte versammeln sich täglich viele Eltern auf dem Alten St.- Matthäus- Kirchhof in Berlin- Schöneberg, um ihre Babys zu besuchen. Alle verweilen ein paar Minuten und genießen die vertraute Verbundenheit. Viele haben Geschenke oder Fotos dabei, andere zünden eine Kerze an, im Gedenken an ihre Sternenkinder.

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Abbildung 1: Friedhof der Sternenkinder Foto: ©Melanie Köppel

Der „Garten der Sternenkinder“ wird von einem riesigen Schiff aus Holz geziert. Rund 400 Gräber befinden sich bis jetzt hier verteilt und es werden jährlich mehr. Die Definition Sternenkind besitzt eine große Spannweite, jedoch kann man grundsätzlich sagen, dass es sich um ein tot- oder stillgeborenes Kind handelt. Für die Eltern im ersten Moment ein Riesenschock, denn das Baby, auf dass man sich so sehr gefreut und worauf man so lange gewartet hat, kann man nie richtig kennenlernen. „Kein Kind sollte vor seinem Vater sterben!“ sagte Anthony Hopkins im Film „Die Vorsehung“. Den Eltern von Sternenkindern spricht dieses Zitat aus der Seele.

Aber wie geht man nun mit dem traurigen Verlust um? Kann das Leben danach überhaupt weitergehen? Bernd Boßmann, Schauspieler und der Besitzer des ersten Friedhofscafés Deutschlands im St.-Matthäus- Kirchhof, setzt sich für die Eltern der Sternenkinder ein und versucht zu helfen, wo es nur geht. Die Idee zum „Garten der Sternenkinder“ entstand am Anfang des Jahres 2007, als ihn eine Mutter in seinem Café besuchte und vom Verlust ihres Sohnes erzählte. Sofort waren viele Sponsoren gefunden und im April 2007 fand die erste Bestattung statt.

Bernd Boßmann
Abbildung 2: Bernd Boßmann beim Interview Foto: ©Delia Roscher

„Die Auflagen sind in Deutschland sehr streng. Erst ein Kind über 1000 Gramm ist offiziell Bestattungspflichtig und bekommt auch eine Urkunde.“, so Boßmann, “ Ich finde diese Definition sehr traurig, denn für die Eltern ist das verlorene Kind trotzdem ein fester Bestandteil der Familie!“ Das Verständnis und die Hilfe von Bernd Boßmann lockt daher auch viele Vereine für Eltern von Sternenkindern in das Friedhofscafé „Café finovo“. Die Vereine „Erste Hilfe Köfferchen Berlin“ oder die „Verwaisten Eltern“ treffen sich dort gerne, um sich auszutauschen.

Schatullen
Abbildung 3: Schatullenbeispiele und Grabfiguren Foto:© Delia Roscher

„Im Umgang mit den Eltern muss man besonders vorsichtig sein!“, meint Bernd Boßmann. Wörter wie „Sarg“, „verrottbar“ oder „Tod“ werden ganz aus dem Wortschatz gestrichen. Stattdessen wird aus dem Sarg eine Schatulle, diese auch selbst von den Familien der Kinder gestaltet werden können. Das gibt den Hinterbliebenen oft ein besseres Gefühl und lässt die Tragödie leichter verkraften, soweit das möglich ist. Bernd Boßmann versucht, die Eltern an Psychologen weiterzuleiten und kümmert sich hauptsächlich auch um die rechtlichen Verpflichtungen. Der ehemalige Schauspieler erzählt:“Ich wollte immer selbst Kinder, habe aber leider nie welche bekommen. Diese Arbeit mit den Eltern ist so etwas wie eine Erfüllung für mich. Daraus Profit zu schlagen wäre unmoralisch! Ich bin froh, dass ich helfen kann.“

von Melanie Köppel aus Berlin, am 07.01.2016