Rassismus ist keine Meldung wert

Wer Journalist*in werden möchte, muss auch mit negativer Kritik umgehen können. Und das ist durchaus diplomatisch ausgedrückt! Hass und Anschuldigungen erreichen Journalist*innen immer direkter und ungefilterter. Was früher vielleicht fünf Drohbriefe nach einem pikanten Artikel waren, sind heute unzählige E-Mails, Kommentare und, wenn es ganz außer Kontrolle geht, auch Anrufe.

Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass das Internet daran Schuld ist, aber salopp gesagt: Jeder Idiot kann heutzutage seinen Scheiß veröffentlichen, egal welcher Wahrheit die ganze Sache entspricht. Im Gegenzug erhält man auch Reaktionen auf sein geteiltes Wissen so schnell wie noch nie. So wird die Arbeit der Journalist*innen von manchen Leuten als lästige  Nebensache gesehen, welche man praktischer Weise auch in kürzester Zeit negativ befeuern kann. Denn für was braucht man noch eine*n Journalist*in, wenn man jegliche Information per Internet zum Nulltarif bekommen kann? Wenn mir einfach etwas nicht passt, wie jemand anderer berichtet, denkt oder publiziert, dann soll der das auch zu spüren gekommen – so jedenfalls der Anschein.

Der etwas „andere“ Journalist

Was passiert nun, wenn man Journalist*in ist UND einer Minderheit eines Landes angehört? Hasnain Kazim, deutscher Außenkorrespondent von SPIEGEL ONLINE in Wien, bekommt dies täglich zu spüren. Sein E-Mail-Postfach quillt praktisch über, und nett sind nur die wenigstens Zusendungen.  Als Sohn indisch-pakistanischer Eltern in einer Zeit, in der der Rechtspopulismus immer stärker wird, in einem Land, in dem kürzlich ein „Burka-Verbot“ ausgesprochen wurde… Die Hassnachrichten dazu kann man sich nun ausmalen. „Raus aus Deutschland, du Islamist!“ ist harmlos, glaubt mir. Herr Kazim hat jedoch den Spieß umgedreht, und antwortet den „Hatern“ gerne  so sarkastisch, dass das Lesen wirklich Spaß macht. Im Buch „Post von Karlheinz“  hat er die „besten“ Dialoge zusammengefasst und zeigt auf, wieso der Kontakt zwischen Produzent*innen und Rezipient*innen oft genauso wichtig ist, wie die Veröffentlichung der Texte  selbst.

Auffallend dabei ist eben, dass es immer darauf ankommt, wer etwas veröffentlicht. „Logisch!“, könnte man nun behaupten. Aber ich meine das nicht im inhaltlichen Sinne, sondern ganz auf die Optik bezogen. Nämlich die Optik oder eben jedenfalls die Herkunft der äußerlichen Merkmale der Autor*innen oder die Herkunft des Namens. Immer noch sind gewisse Stereotypen in den Köpfen der Menschen eingebrannt. Besonders Journalist*innen mit „ausländischen“ Wurzeln und „fremd“ klingenden Namen sind gerne im Fokus des Hasses. Welche politische Einstellung, Meinungen oder gar Ressorts sie angehören, scheint wiederum keine Rolle zu spielen.

Journalist + „Ausländer“ = das ultimative Hassbild

Der Hass, die Vorurteile und die Ausgrenzung: All das muss aufhören. Natürlich ist es nicht leicht, von einem Tag auf den anderen keine Vorurteile mehr zu haben. Das Thema ist komplex, sollte aber auf keinen Fall unter den Tisch gekehrt werden. Denn wir alle sind Menschen. Ja, auch Journalist*innen, wenn das auch viele gerne anders sehen würden. Das Bild des „informierenden Journalisten“ hat sich zum bösen, „linkslinken-lügenden-Drecksgutmenschjournalisten“ gewandelt. Wenn man dann zu allem Überschuss auch noch „anders“ als der Rest aussieht, hat man es doppelt so schwer. Dennoch sollte ein miteinander ohne Hass keine Utopie mehr sein. Jedenfalls der Versuch dazu.

Bis bald,

Melanie

Ist es wirklich wünschenswert, dass Journalisten Models beleidigen dürfen?

 „Aber diese Schenkel sind einfach nicht Mode, sie sind zu fett.“

Wow, okay. Als ich letzten Sonntagabend durch meinen Facebook-Feed scrollte, erhaschte ein Post besonders meine Aufmerksamkeit: „Ist es wirklich wünschenswert, dass Models dick sein dürfen?“ Ein Meinungsartikel der WELT von der Autorin Inga Griese. Wenn ihr auf den Link klickt, kommt ihr direkt zum Artikel!

Grundsätzlich hat mich die Überschrift des Artikels nicht überrascht. Ein paar Leser*innen mit einer kontroversen Frage ködern und ab geht die Post. Standard. Aber beim Lesen hatte ich eher das Gefühl, dass die Autorin genau so viel Lust hatte, den Text zu schreiben, wie auf eine Weisheitszahn-OP. Auch das schockierte mich jetzt weniger, es gibt journalistisch gesehen natürlich spannendere Aufgaben als einen Meinungsartikel über „dicke“ Frauen zu schreiben.

Aber der Abschnitt des Artikels schockierte mich dann doch:

„Und jetzt mal ehrlich: Die Oberschenkel sind furchtbar. Man kennt die Sorte nur zu gut im Zusammenhang mit zu kurzen Shorts in Disneyland Orlando. Dies ist kein Bashing gegen Dicke. Warum auch. Zumal dick ebenso wie dünn oftmals subjektiv eingeschätzt wird.

Aber diese Schenkel sind einfach nicht Mode, sie sind zu fett. Man darf das noch sagen in Europa. In den USA würde man wahrscheinlich wegen Diskriminierung verklagt.“ – Inga Griese

Ist es etwa in Mode, andere zu beleidigen? Und dann im nächsten Atemzug zu sagen, dass es doch kein „Bashing“ sei? Außerdem sollte Frau Griese als Chefredakteurin des Stil-Magazins ICON sehr wohl wissen, was nun in Mode ist.

Bodyshaming

Bodyshaming ist nie cool. Egal welcher Herkunft. Man sagt niemanden, dass er zu dick sei. Außer man ist Arzt und hat eine berechtigte Sorge! Natürlich sagt man im Gegenzug auch niemanden, dass er/sie mehr essen sollte, weil jemand zu „dünn“ ist. Das ist nicht hilfreich und bringt der angesprochenen Person durchaus wenig. Frau Griese, bitte merken Sie sich das!

Außerdem verstehe ich nicht, wie man vor allem als Frau, gegen „fette Oberschenkel“ wettern kann. Meine Güte, wir sind Menschen, Frauen haben Cellulite und nicht jede hat Modelbeine wie Heidi Klum. So schön es auch wäre!

Ich finde auch, dass Schönheit meist durch Ausstrahlung und Selbstwertgefühl bestimmt wird als durch Makel zerstört. Ashley Graham geht hier mit gutem Beispiel voran.

Frauen wird seit Jahren vorgebetet, wie sie zu sein haben und wie sie aussehen müssen. Bei Männer ist das immer etwas lockerer, Hauptsache, das Gehalt stimmt. Was natürlich auch nicht gut ist. Aber hey, es ist leichter, viel zu verdienen, als sein ganzes Leben lang jeden Tag wie frisch aus den Ei gepellt auszusehen und sich auch so zu benehmen!

Niemand sagt, dass man sich Models als Vorbild nehmen muss und ich glaube heutzutage hat sich die Rolle des Vorbilds ziemlich geändert. Selten sind es wirklich Models.

Der Beruf des Models

Model aber, das wird gern vergessen, ist ein Beruf. Mit bestimmten Anforderungen“, schrieb Inga Griese. Gut, ergibt Sinn, damit meinte sie aber, dass zum Beispiel Ashley Graham diesen Anforderungen nicht entspricht.

Das Einzige, was an Ashley Graham vielleicht nicht einem Model entspricht, sind die „typischen“ Modelmaße. Sonst präsentiert, postet und verkauft sie sich selbst wie jedes andere Model. Vielleicht manchmal sogar besser als andere, aber das ist Geschmackssache.

Mode sollte für alle da sein, und nicht bei einer bestimmten Kleidergröße anfangen oder aufhören. Für mich als Käuferin ergibt es logischerweise mehr Sinn, wenn ich ein Kleidungsstück an Ashley Graham oder anderen PlusSize Models sehe als an einem Victoria Secret Engel. Aus dem einfachen Grund, da ich dann so viel leichter einschätzen kann, wie es an mir aussehen könnte. Wenn ich ein Kleid an Bella Hadid sehe, fällt es mir schon um einiges schwerer. Geschweige denn, ob der Designer überhaupt meine Größe produziert hat.

Und jetzt kommen wir zum springenden Punkt: Mode ist für alle da. Wir müssen uns alle irgendwie etwas anziehen, und wer ist denn nicht gerne geschmacklich passend angezogen?

Die Modebranche hat nun langsam verstanden, dass es auch Größen jenseits der 32 gibt. Da mit dem anderen Extrem anzufangen, ergibt natürlich Sinn, aber wo bleiben die „Durchschnittsgrößen“? Warum werden immer nur gewisse Köperformen und -größen präsentiert? Ist ein Model mit Größe 38 oder 40 vielleicht zu normal?

Anstatt sich über „dicke“ Models auszulassen, sollte man vielleicht besser für mehr Vielfalt innerhalb der Modewelt appelieren. Denn dann haben wir alle was davon, auch die kleinen Mädchen, die dann weder Size Zero noch Plus Size nacheifern „müssen“.

Bleib du selbst,

Melanie

Anmerkung: Meinungsartikel, nicht alle Aspekte wurden im Text angesprochen.

Wir müssen reden… mit Veuve Noire

Veuve Noire ist keine Anfängerin vor der Kamera. Die Posen sitzen gekonnt, die Schokoladenseite immer in Szene gesetzt. Als Travestie-KünstlerIn hat sich Veuve einen Namen gemacht, als Kieztour-Guide und Host der Olivia Jones Bar auf der Großen Freiheit ist sie allerseits bekannt.  Für das Projekt „Deutschland, wir müssen reden!“ des Journalismus-Jahrganges 2015 der DEKRA Hochschule in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene Museum hat sich Veuve gerne Zeit genommen, um auch ihre Ansichten zum Thema Rassismus vor der Kamera zu teilen. Was ihr schon einmal Schlimmes widerfahren ist und was ihr Künstlername bedeutet, lest ihr hier.

Fröhlich winkend und gleichzeitig telefonierend begrüßt uns Veuve Noire am Eingang der Olivia Jones Bar in Hamburg. Es ist erst 17.30 Uhr und auf der Reeperbahn herrscht gähnende Leere. „Der Betrieb fängt heute erst gegen 20 Uhr an! Kommt rein, meine Süßen“, erklärt uns Veuve. Die Olivia Jones Bar selbst ist wie ihre Chefin und deren Mitarbeiter: schrill und originell, jedoch im klassischen rustikalen „Bar-Stil“ gehalten. „Kreativer Denkmalschutz“ heißt es hier. An den Wänden hängen dutzende Fotos von bekannten Persönlichkeiten, die in der Bar schon die eine oder andere Nacht verbracht haben. Auch Bardame Tanna bereitet schon fleißig die Theke vor und begrüßt uns herzlich.

Für unser Kamerateam wurde extra Platz gemacht und so verwandelt sich langsam die Bar in ein Aufnahmestudio. Mit den Stühlen müssen wir improvisieren, und so sitzen Veuve und ich auf Bierkisten. Außerdem sollten wir uns beeilen, denn bereits um 19.00 Uhr beginnt die gut besuchte Kiez-Tour der Drag Queen. Queen ist jedenfalls der passendste Begriff: In einem rot-schwarzen Mantel und mit neuer, raspelkurzer blonder Frisur wirbelt sie durch die Bar und bereitet sich auf das Interview vor. An ihrer Jacke hat sie viele kleine Aids-Schleifen als Anstecker angebracht. Am internationalem Welt-Aids-Tag ein Muss für die Künstlerin.

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Trotz des ernsten Themas sitzt mir eine strahlende Veuve gegenüber. Ihren Humor hat die Drag Queen behalten, auch wenn Homophobie und Rassismus oft in ihrem Alltag vorkommen. In Hamburg auf der Reeperbahn hat sie jedenfalls ihren Platz gefunden: „Jeder soll so sein und leben, wie er möchte. Das sollte eigentlich in ganz Deutschland möglich sein!“

Im Interview erzählt Veuve mir, dass es leider auch schon furchtbare Erlebnisse gab. „Einmal ging ich geschminkt die Straße entlang. Mir pfiffen einige Männer hinterher, was mich natürlich sehr freute“, erzählt sie. Was Veuve aber nicht wusste: Die Männer dachten, es handelt sich um eine Frau und keine Travestie-Künstlerin. „Als die das bemerkt haben musste ich wirklich meine Beine in die Hand nehmen und um mein Leben laufen!“

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Mit dem Künstlernamen „Veuve Noire“ (Bedeutung: „Schwarze Witwe“, die gleichnamige Spinne, die ihre männlichen Artgenossen nach dem Paarungsakt tötet und verspeist) klingt Veuve für Männer doch eigentlich sehr gefährlich. Auf der Olivia-Jones-Seite sagt sie dazu aber nur: „Männer zum Frühstück, Mittag, Abendessen? Gerne! Aber töten? Ich mache doch mein Spielzeug nicht kaputt!“

So wie Veuve kein kaputtes „Spielzeug“ möchte, will sie auch keine kaputte Gesellschaft mehr. „Wir leben im 21. Jahrhundert: Jeder soll das sein, was er möchte!“, ist Veuves finales Statement. Teile des Interviews sind ab Mai 2018 im Deutschen Hygiene Museum Dresden zu sehen in der ersten großen Rassismus-Ausstellung Deutschlands!

Bis zum nächsten Update,

Melanie

P.S.: Du willst jetzt schon jetzt Ausschnitte des Interviews sehen? Oder hast Fragen zum Projekt? Folge uns einfach auf unseren sozialen Medien, wie Facebook, Instagram oder Twitter. Wir freuen uns auf dich!

nr-Jahreskonferenz 2017

Dieses Wochenende fand die diesjährige Netzwerk-Recherche-Jahreskonferenz zum Thema „Leiden schafft Recherche“ auf dem NDR-Gelände in Hamburg statt. Und was soll ich sagen? Nicht nur der Header der Veranstaltung klingt komplex, sondern auch die Vorträge, Workshops und Diskussionen hatten es in sich.

Als angehende*r Journalist*in blickt man immer wieder mit einer gewissen Ehrfurcht zu den „alten Hasen“ im Business auf. Wird mir die „Story meines Lebens“ auch einmal in die Arme fallen? Oder werde ich ewig bei einer Lokalzeitung sitzen und mich darüber freuen, wenn alle paar Jahre ein neuer Bürgermeister gewählt wird, damit ich ein Interview führen kann? Bitte nicht falsch verstehen: Das ist ebenso eine Arbeit, die einen erfüllen kann. Aber vor allem, wenn man jung ist und für diesen Beruf „brennt“, hat man ganz andere Ziele und somit auch insgeheime „Vorbilder“.

Umso aufregender war es natürlich, diese dann auch in Hamburg zu treffen. Ob nun Franziska Augstein, Hans Leyendecker, Ingo Zamperoni oder Armin Wolf: So viele verschiedene Meinungen treffen selten aufeinander. Zuhören, mitreden und das alles auf Augenhöhe ist meiner Meinung nach für einen gewissen Lernprozess viel wichtiger, als Vorlesungen in der Universität. Denn noch kein*e gute*r Journalist*in ist vom Büro aus schlau geworden. Und das ist nur eine der wenigen Erkenntnisse, die ich dieses Wochenende gesammelt habe.

Ob ich nun meine ganzen Eindrücke auf einen Punkt bringen kann? Ehrlich gesagt würde ich es sehr traurig finden, wenn ich das könnte. Nach spannenden Diskussionen war ich selbst oft zwiegespalten und ich bin noch immer verblüfft, wie verschieden man Themen aufbereiten und dann verbreiten kann. Als Journalist trägt man diese Verantwortung mit sich. Denn ich habe auch gelernt, dass ein Fehler nicht nur eine Fehlinformation für die Rezipient*innen bedeutet, sondern auch Leben zerstören kann. Dass Aktivismus und Journalismus schwer zu trennen sind und dennoch trennbar sein müssen. Und auch, dass eine einheitlich neutrale Haltung ein Wunschgedanke ist, hinter dem sich viele gerne verstecken.

Ich verbleibe jedenfalls mit der allerwichtigsten Erkenntnis, die ich von diesem Wochenende mitgenommen habe: Der beste Lehrer ist die Lebenserfahrung. Das ist so und wird auch immer so bleiben!

Bis bald,

Melanie